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Das dicke Fell der Resilienz

"Ich habe viel Glück gehabt in meinem Leben und möchte etwas davon weitergeben." – 

"Ich hatte keinen Beistand, als ich einmal in Not war - ich möchte helfen, dass es anderen besser ergeht." 

Zwei von vielen Aussagen, warum Menschen sich bei der Notfallseelsorge engagieren. 

 

Mit der Notfallseelsorge geben wir unserer Kirche ein Gesicht für Menschen, die in besonderer Not sind. In außergewöhnlicher Situation trösten wir Menschen durch unsere Anwesenheit, durch unsere Bereitschaft zuzuhören und das Leid mitzutragen. Stets im Vertrauen darauf, von Gott begleitet zu sein. Wir sind nicht allein, auch dann nicht, wenn wir Ereignisse in der Notfallseelsorge bearbeiten.
   
Zwar werden wir uns immer wieder fragen, wie wir die unterschiedlichen Lebensgeschichten tragen können. Diese Frage bleibt, eigene Unsicherheiten und Zweifel machen uns als Menschen aus. Das Vertrauen auf Gott und seine Gegenwart ist unser Glaube. Notfallseelsorge ist ein seelsorgliches Angebot für Menschen, die in Momenten schwersten Leids und existentieller Krisen mit dem nahen und plötzlichen Tod konfrontiert sind.

 

Kirche möchte in der Notfallseelsorge den Menschen in diesen extremen Lebenssituationen beistehen: 

Ihre Notfallseelsorger und Notfallseelsorgerinnen sind bei den Menschen in ihrer Not und ihrem Unglück, im Moment der Todesahnung und wenn der Tod noch nahe ist. Sie halten mit den Menschen das Schweigen aus, wenn angesichts von Leid, Schuld und Ohnmacht jedes Wort versagt. Und sie versuchen, Trost und Hoffnung über den Moment des Leids und des Schmerzes hinaus zu geben und so Perspektiven für den Weg zurück in den Alltag zu eröffnen.

 

In ihrem Bemühen, in der extremen Situation des nahen und plötzlichen Todes „Botschafter des Lebens an der Grenze des Todes zu sein“, sind die Notfallseelsorger getragen und motiviert vom österlichen Mysterium:

• von Jesu Leiden, in dem er bis zum Äußersten geht und sein Leben in die Hände Gottes legt,

• von seinem Tod am Kreuz, der die Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit und Gottverlassenheit jedes Todes radikal spürbar macht,

• von Christi Auferstehung, in der er durch Gottes Macht von den Toten erweckt und in Gottes Herrlichkeit erhöht wird

• und von der Zusage seiner bleibenden Nähe. 

 


Ohnmacht, Schmerz und Leere des Todes haben nicht das letzte Wort, sondern Gott will das Leben. Notfallseelsorge will dies in der konkreten Situation präsent machen. Jesus Christus hat durch seinen Tod am Kreuz jeden Tod überwunden und in der Auferstehung das Leben für alle wieder hergestellt.

Gegen Katastrophen, Leid und Tragödien im Leben der Menschen geben Notfallseelsorger der Hoffnung Raum, dass die Liebe Gottes den Tod ein für allemal besiegt hat und dass das Leben der Menschen nicht in der Hoffnungs- und Aussichtslosigkeit des Todes endet.

In der Notfallseelsorge erleben wir, dass man Menschen in größter Not kurzfristig auffangen kann.

 

Wie kann nun ein Notfallseelsorger mit diesem Auftrag auf die Dauer seine Arbeit machen? 
Auf der einen Seite erlebt und begleitet die Notfallseelsorge tiefes Leid und auf der anderen Seite benötigen die Handelnden in der Notfallseelsorge ein dickes Fell bzw. Professionalität.

Resilienz, ist hier für das Zauberwort und es ist der wissenschaftliche Begriff dessen, was ich "dickes Fell" nenne.

 

Wir brauchen Widerstandskraft und Achtsamkeit für uns selbst. Ich darf es nicht zulassen, dass ich selber emotional in den Einsatz reingezogen werde, muss vieles aushalten, aber ich darf auch die Empathie zu meinem Gegenüber nicht verlieren. Und genau diese Haltung ist das Schwierige, womit wir es in der Notfallseelsorge zu tun haben. Hier ist zu vermuten, dass es einen Gewöhnungseffekt gibt, das heißt, nach zehn Jahren in der Notfallseelsorge kann einen nicht mehr so viel schocken.

 

Ich würde diese Aussage nicht so unterschreiben. Natürlich ist die persönliche Erfahrung, die ein Notfallseelsorger oder eine Notfallseelsorgerin hat, eine ganz hohe persönliche Schutzressource. Aber es kann natürlich auch sein, dass mir im Einsatz Dinge und Menschen begegnen, die mir etwas erzählen, was mich in meiner eigenen Geschichte antriggert, wo ich dann innerliche Kraft aufwenden muss, um mich nicht in den Einsatz reinziehen zu lassen.

 

Machen wir es mal ganz konkret: Jemand von uns kommt zu einem Einsatz, wo ein Kind unter den Opfern ist. Es erinnert einen an die eigenen Kinder.

Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Ich muss für mich selber empfindsam sein, merken, was bei mir selber vorgeht. Entweder kriege ich diesen Einsatz gut hin oder ich merke, hier muss ich mir jetzt selber Unterstützung holen. 

Es ist genauso wie bei den Einsatzkräften. Manchmal ist es so, dass Einsatzkräfte selbst angefasst werden, wenn sie mit Kindern zu tun haben, weil sie vielleicht Kinder in dem Alter haben. Dann ist es ratsam, diese Einsatzkraft auszuwechseln.

Wie sieht es nun bei den Notfallseelsorger und -seelsorgerinnen in der Begleitung aus. Wir sollten nicht ausbrennen und stark im Beruf und in unserer Berufung bleiben. Genau hier ist die kollegiale Unterstützung im Team gefragt. 

 

Nach einem schweren Einsatz, so habe ich das selbst erlebt, ist es manchmal ganz wichtig, dass man sich einfach einen Kollegen, eine Kollegin nimmt, sie anruft und um ein Gespräch bittet und dann die Möglichkeit hat, über das, was man eben erlebt hat zu reden. Das hilft schon ganz, ganz viel, neben den vielen anderen Dingen wie Supervision, Coaching, Meditation etc..

Mich leitet der Satz von Pfr. Arno Pötzsch: ‚Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Händen, die er zum Heil uns allen barmherzig ausgespannt‘, womit ich uns wünsche, weiterhin gelingend tätig zu werden. In der Notfallseelsorge geben wir nicht nur sondern bekommen auch eine Menge zurück.

 

Gebet:

Herr Jesus Christus, du bist der Weg, der uns zum Vater führt, 
die Wahrheit, die uns befreit, 
und du schenkst uns das Leben, das selig macht.

Wir sind hin- und hergerissen und wissen nicht, ob wir neu aufbrechen sollen. 
Wir fragen uns, wohin du uns rufen willst, ob unser Platz in dieser Welt hier ist 
oder an einem anderen Ort.

Wir kommen heute zu dir und bitten dich, dass du uns den rechten Weg zeigst. 
Wir bitten dich, mitten im Gewirr vieler Stimmen, dass wir deinen Ruf heraushören und uns von dir leiten lassen.

Wir bitten dich, dass wir aus den vielen Möglichkeiten, 
die sich uns bieten, die richtige auswählen.

 Wir bitten dich, dass wir im Lärm dieser Welt deine Stimme nicht überhören, 
der wir im Leben und im Sterben vertrauen können.

Wir bitten dich für uns, 
die wir allzu oft leben, als ob es dich nicht gibt, 
und die wir unser Vertrauen immer wieder allein auf uns selbst setzen: 
Lass uns nicht allein bei unserer Suche nach dem Ort, den du für uns bestimmt hast.

Amen.

 

Conny von Schumann, Leiter der Notfallseelsorge Frankfurt a.M.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Heiko Ruff-Kapraun (Mittwoch, 20 Mai 2020 19:16)

    Lieber Conny, herzlichen Dank für deine Besinnung und den darin liegenden Denkanstoß. Ich würde am liebsten gleich diskutieren. Dickes Fell und doch empfindsam.
    Unsere Katze passt ihr Fell immer ganz gut an.
    Ich kenne einige Personen, die so unempfindlich geworden sind, weil sie nie das richtige Fell finden.
    Liebe Grüße Mein Weizenbier ist offen. Lasst es Euch gut gehen